Deutschland sucht den Diktat-Star (TV I)
Dieses Jahr, wenn Sie die
fünfzehnte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ sich nicht ansehen
werden, denken Sie doch mal an die ferne Volkrepublik China und freuen sie sich,
dass es dort andere Formen der Castingshows zu sehen gibt, die Ihnen Ihren
Glauben an das Schöne, Wahre und Gute erhält.
Ich picke mal das Schwergewicht
heraus: „Generalversammlung zum Diktat chinesischer Schriftzeichen“ (hier ein kurzer, aber guter Einblick)
so sein etwas formeller Name, der gleich an die 163te Sitzung des Zentralkomitees
zur Novellierung der Ein-Kind-Politik denken lässt.
Andere heißen "Zeichen-smasher" oder "Schriftzeichenheld" und sind weniger förmlich.
Andere heißen "Zeichen-smasher" oder "Schriftzeichenheld" und sind weniger förmlich.
Mit Recht werden Kenner des
chinesischen Fernsehprogramms mir entgegnen, dass diese nicht die wahren
Pendants zum deutschen DSDS seien, das sind nämlich „China-Superstar“ oder „Chinas
bestes Lied“ u.v.a.m., jedoch: sie funktionieren vom Ablauf gleich, haben Buzzer-betätigende
Jurys, Backstage-Moderation, rührige Geschichten von zu Hause, sind ebenso
populär und ihre Protagonisten gleich umjubelt.
Aus verschiedenen Provinzen
sitzen 5 Gruppen á 12 Schülern auf der Bühne. Von ihnen tritt immer einer ans
Pult und bekommt von einem Tagesschausprecher zweimal ein Wort vorgelesen,
sowie ein meist literarisches Zitat in dem es prominent vorkommt. Nach kurzen
Rückfragen und dem obligaten „Bin bereit“ ist eine Minute Zeit dieses Wort auf
einen berührungssensiblen Bildschirm zu schreiben. So geht es immer Reihum,
richtig bleibt, falsch fliegt, bis nach zwei Stunden nur noch zwei übrig sind,
die dann in einem finalen Stechen um den Sieg ringen.
Das In-die-Handschreiben ist ein hiesiges Phänomen, um das Zeichen an sich, die "Strichfolge" oder auch den Unterschied zu einem der vielen gleichlautenden Zeichen deutlich zu machen. |
Wie schreibt frau "niesen"? |
Man hinter den Kulissen miterlebt
wie Lehrer, Eltern und Mitschüler bewaffnet mit dicken Wörterbüchern ungläubig
nachschlagen müssen was ihr Schützling da grad aus dem Gedächtnis zaubert.
Interessant sind auch die Erläuterungen
der Literaturprofessorenjury und die Blindprüfgruppe von 50 normalen Chinesen
(Kinder, Omis und Werktätige), die gleichzeitig den Test mitmachen und es
meistens auf nur 1%, manchmal auf 5% und im Ausnahmefall mal auf 20%
Trefferquote bringt.
Das ist echt spannend! Ist das Propaganda?
noch 19 Sekunden... |
Das ist echt spannend! Ist das Propaganda?
Sicher kann man, wie es mir mit
so vielen Verbots- und Aufforderungsschildern in der VR geht, sagen, ja, wenn
die Regierung schon im Staatsfernsehen solche Sendungen bringen muss, dann
scheint es ja um die Alphabetisierung schlecht bestellt. Und ja, auch hier
zwingen die Schlaufone die Schreibkunst zum Rückzug. Und es stimmt am besten
schneiden meist die Halbwüchsigen aus den guten Schulen der großen Städte ab.
Hong Kong ging ganz schnell unter (wohl wegen der dortigen Langzeichen) und
besonders die Kinder aus den Randgebieten und der Minderheiten, die sich wie
unsereins mit Chinesisch als Zweit- oder gar Drittsprache abmühen, steigen
spätestens bei den Spezialzeichen der Literatursprache aus. Umso größer der Jubel
aber, wenn die Letztverbliebene aus Hinterkanton allein eine ganze Klasse aus
Peking quasi wörtlich ausradiert. Mein Eindruck ist hier feiert eine Kultur
ihren erhabensten Teil und legt ihn auf ansprechende Weise einem breiten
Publikum erfolgreich ans Herz. Während diese Jugend einerseits ihre Smartphones
bedient, sitzt sie doch von klein auf abends im Kalligraphiekurs und ist
frühzeitig dem ästhetischen Arrangement einzelner Striche zu einem ansprechenden
Ganzen ausgesetzt. Von uns höre ich, dass man gerade die Schreibschrift im Grundschulunterricht abschafft …
Als Sinophilem verstellt natürlich
die Urkraft und Schönheit dieser Schreibschrift etwas den nüchternen,
objektiven Blick. Ich wollte nur im Kontrast zu einer deutschen Sendung mal aus
einem Land, von dem wir oft eine Menge Schmus, gerade hinsichtlich seines
kulturellen Verfalls hören, erzählen.
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