Viertel



Bevor ich mit weiteren Fotoreihen (alles schon vorbereitet!-) kurioser Exponate Eure wertvolle Zeit verschwenden werde, dachte ich, ich zeige Euch zunächst mal meinen Stadtteil. Die „Inneninsel“, wie die Inselstadt Amoy, die sich auch jenseits der Insel erstreckt, den Teil der Stadt, der Insel ist, die Insel nennt, ist in einen nördlichen und einen südlichen Teil geteilt. Ich wohne im südlichen, ältesten Teil der Stadt, der auf den rührenden Namen „An die Ming denken“ hört, auf Chinesisch kurz:“ ßü Ming“. 
Das rührt daher, dass zu Zeiten, als die Ming-Dynastie zur bezopften Nation d.h. von den Mandschu erobert wurde, sich hierher - den fernen Süden - die letzten Reste loyaler Ming-Truppen flüchteten, und von hier aus noch weiter auf mein geliebtes Taiwan, um eines Tages doch noch zum Gegenangriff blasen können; was dann aber nicht mehr stattfand.
Hier also, fünf Gehminuten zur Uferpromenade, steht der Fünfunddreißiggeschosser, in dem ich wohne. 

Leider schaue ich nicht in Richtung Meer, sondern Richtung begrüntem Berg. Das ist aber nicht schlimm, denn der Anblick des sich an den Bergfuß schmiegenden Tempels, der kleinen Pagode auf der einen und des Dampferschlothauses auf der andern Bergspitze, der wie eine Girlande hübsch dazudrapierten Seilbahn, als auch der scheinbar wild wuchernden Unterstadt ist immer wieder herzig und schön.

Nicht nur ich scheine den Eindruck des Wucherns gehabt zu haben, offenbar auch die Verantwortlichen zur Findung der Subnomenklatur dieses Viertels, sie nennen es treffend: „Himmel bleibt verborgen“, denn wenn ich so durch die engen Gassen, Hintertreppen und schmalen Gänge unter und zwischen den hochgeschossenen und verwinkelten Häusern schlendere, stehe ich meist im Schatten. 

In eins zwei Monaten wird das jedoch sicher sehr angenehm sein.
Hintenraus zu wohnen, hat im Übrigen auch den Vorteil, auf den Berg, zur Pagode oder den Tempel gehen zu müssen um einen schönen Blick auf das Meer zu bekommen und so ganz nebenbei dem Ausbau eventuell vorhandener intrakorpureller Lipidkompartimente vorzubeugen. 

Und obwohl mich meine Aussicht jeden Tag neu dazu einlädt, muss ich gestehen, dass ich sie zu selten annehme. Wenn aber, dann gehe ich nicht zur Pagode oder zum Tempel, sondern meine selbstentdeckte Geheimschluppe, zu einem abgelegenen, sehr großen Felsen, wo ich mich ganze alleene rüchtsch breide machng konn 

und die Aussicht nicht von rückwärtslaufenden Transistorradiohörern klanglich beeinträchtigt wird. Nur ab und zu winken aus den Seilbahngondeln verdutzte Liebespäarchen auf Urlaub.
Prägend sind auch die zwei Schulen in unmittelbarer Nähe, die in den Pausen mein Viertel mit trainingsanzugsuniformierten Schülern überschwemmen. 

Zu den Stoßzeiten fließen sie quasi die abschüssige Hauptstraße hinunter und blocken in Fünferreihen den Gegenverkehr. 

Ziehen sich an der Ecke nen Bautze (gefüllter chinesischer Hefekloß) oder nen leckeren Perlentee und verschwinden entweder in den Seitengassen, meinem Block, wo sie dann mit mir Fahrstuhl fahren, oder laufen weiter zur Bushaltestelle neben dem Museum der Auslandschinesen, das mit seiner traditionellen Bauweise, den Schwalbenschwanzdächern, seinem großem Tor und seinem Garten der eigentliche Ruhepol hier im Gewusel, meinem Quartier, ist.

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