Zeitgenössische Tuschmalerei
Und nochmal
Taiwan. Als ich Zweitausendfünf in den letzten Monaten meines ersten Aufenthalts
war und mich sprachlich etwas sicherer
fühlte, wagte ich mich an stärkeren Tobak wie Kulturzeitschriften. Typisch
Analphabet, erregten die abgedruckten Tuschbilder in einem Artikel eines taiwanischen Malers in der zwölften
Ausgabe des Journals „Chinesische Kultur“ meine Aufmerksamkeit. Ich versuchte
den Text zu lesen, musste aber aufgeben, der Schwierigkeitsgrad war zu hoch.
Die Zeitschrift habe ich aber mitgenommen und aufgehoben. Besonders das Bild „Twatutia“ bewundere ich sehr und wollte immer verstehen, was in dem Artikel und den
Bildunterschriften stand. Nach fast dreizehn Jahren bin ich nun soweit.
Im Folgenden
nun meine Übersetzung mit runtergerechneten Scans der Bilder. Die Anordnung
entspricht dem Originalartikel vom 10.06.2005 einschließlich der Biografie am
Ende. Für mich besonders interessant sind die Bildunterschriften im Artikel,
die die traditionell üblichen, in die Bilder hineinkalligraphierten Kommentare
wiedergeben, die mir sonst als laienhafter Betrachter meist - da schwer zu
entziffern - verschlossen bleiben. Die chinesische Sprache eignet sich dank ihrer
unzähligen gleich klingenden Worte hervorragend für Sprachspiele. Auch der
Autor dieses Textes macht davon Gebrauch, darum vorab:
V.l.n.r. die
Worte für „Transformation“, „Malen“ und „Sprache“. Diese drei Schriftzeichen
haben im Chinesischen die exakt gleiche Aussprache „huà“.
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Mich
inspiriert besonders „Twatutia“ und „Ring“
mit seiner für mich ungewöhnlichen Verbindung aus moderner Großstadtästhetik
mit alter, traditioneller, chinesischer Tuschmaltechnik. Das hatte ich bis dahin noch nie gesehenen
oder für möglich gehaltenen. Ich empfinde diese Kombination als ungeheuer reizvoll
und gelungenen. Es ist mein Wunsch einmal ein musikalisches Werk dieser
Qualität für gemischtes Orchester aus chinesischen und europäischen Instrumenten
schreiben zu können.
Mit dem Pinsel um die Welt ins
Tuschebild
Text und Bilder: Jiang Mingxian
Der Autor
hatte einst etwas von einem Bettelmönch,
durchschritt
mit seinen beiden Füßen ungezählte Länder,
malte weiß
nicht wie viele Landschaften fremder Länder.
Vor vielen
Jahren kehrte er nach Taiwan zurück.
Als er mit ernstestem
Herzen die gesamte Heimat erfahren hatte,
wurde ihm
erst schmerzhaft klar,
dass nach
all den Jahren des Suchens,
die
überbordenste Lebendigkeit, just im eigenen Lande liegt.
Menschen,
die es unternehmen Kunst zu kreieren, können nicht anders als in die objektiv
existierende Realität neue Interpretationen und neue Erkenntnisse von
subjektivem, festen Glauben hineinzugießen. Mithilfe aufrichtiger Gefühle und
Lebenskraft, hoffen Künstler mittels ihres Werkes, die Menschen die Dinge, die
sie mit ihren Augen sehen, abermals durch eine Reinigung der Seele durchlaufen
zu lassen und dadurch in eine andere im Ewigen angesiedelte Welt zu treten.
Wäre dem nicht so, warum sollte es sonst Kunst heißen?
Auf tausend Wegen gewandelt. Alles unterm
Himmel gemalt.
Vor zwanzig
Jahren, war ich einst wie ein Bettelmönch, der mit seinen beiden Füßen
unzählige Länder betrat und weiß nicht wie viele Landschaften fremder Länder
malte. „Wie auf Giebeln hoher Häuser ganz allein, ging ich in fernen Welten aus
und ein.“ In all dieser Zeit habe ich nicht vergessen auf der Hut vor mir
selbst zu sein. Ein Bild soll im Betrachter ein aufgeregtes Pulsieren erzeugen,
soll nicht nur dem Betrachter ermöglichen den vom Bild ausströmenden Duft des
Lebens zu riechen, sondern auch das Innenleben des Malers zu erspüren, dabei
ist noch wichtiger, dass sich die Seele des Betrachters mit dem Geist des
Kreativen in den Tiefen vermischt.
Vor vielen
Jahren, nach meiner Rückkehr nach Taiwan, als ich mit ganzem Herzen, mit aller
Lust, mit aller Individualität die eigenen Sedimente nahm, um mit höchstem
Ernst, tiefster Tiefe, innerster Berufung die eigenen ewigen Wurzeln, ewige
Heimat zu erfahren, hatte ich plötzlich ein Erwachen nach Art von „In der Menge
suchte ich ihn tausendmal, wandte mich um mit einem Mal, da an seinem Ort, die
Papierlampions schon fahl.“
Taiwan ist
so farbenfroh und gestaltreich, ist so überbordend lebendig, ist so aufwallend
und sturzflutend, ist so grundrobust. Weil Taiwan so viel absorbiert hat:
westliches, japanisches; althergebrachtes, modernes; zentralchinesisches, weit
entferntes; ozeanisches, allerlei Essenzen und Nährstoffe vom Festland, gebar es
so ganz neues Leben. Das ist einzigartig auf der Welt, es gibt keinen Grund für
uns unsere grenzenlose Sammlung aufzugeben und blind nach fremden Elementen zu
betteln. Wir müssen unsere unerschöpflichen verborgenen Schätze ausgraben,
unsere eigene grenzenlose Lebenskraft vollends entfalten.
Transformation der Künste. Erscheinungen der
Tusche.
Von einem
ästhetischen, künstlerischen Standpunkt her, liegt Taiwans wertvollste
Besonderheit im Schriftzeichen für „Transformation“, das heißt Taiwan ist fähig
alte Erfahrungen festzuhalten, neue Strömungen zu begrüßen und mit grandiosem
Schwung, wie der Geist eines Tals, alles von außen kommende ins Unsichtbare zu
schwemmen und zu neuem Leben, neuer Kultur zu vermengen. Im unablässigen Wind
und Regen von 400 Jahren, stand Taiwan, weil wunschlos und doch firm, wie eine
Wand von 1000 Klaftern Höhe. Weil es diese Aufnahmekraft hat, ist es groß und gleicht
dem Meer in das hundert Ströme fließen. Solange wir gewissenhaft und bedächtig
beobachten, wertschätzen und auf uns
wirken lassen, so können wir erkennen wie unsere Heimat ist: weitherzig,
zuvorkommend und anständig, warm und herzlich, liebevoll.
Taiwan ist
die neue Quelle der Kultur der Menschheit, die unterschiedlichste von außen
kommende Farben harmonisch mischt und ihre einzigartige Schönheit
erringt. Dies ist etwas, das kein anderer Ort auf der Welt besitzt und auch unsere
wertvollste Eigenheit.
Mein Taiwan
zu malen ist die Intention dieses taiwanesischen Landkindes, das auf tausend
Wegen die Welt bereist hat und gelernt hat die traditionelle wie die westliche
Maltechnik zu beherrschen und sie für Taiwan ganz auszuschöpfen. Obwohl jedes
Werk seinen Anfang im Lebendigen nimmt, folgte es den Gefühlen, der Empathie,
der Wechselhaftigkeit der Lebewesen, der Verschränkung von Objekt und Subjekt,
von Ich und Du und benutzt das „Herz“ beim Gestalten neuer Formen, um den
Anspruch „Eine Nachformung der Schöpfung, erhält ihre Mitte nur aus der Quelle
des Herzens.“ der Tuschemalerei zu erfüllen. Mein Taiwan
zu malen, ist nicht nur für „Malen“ von Bedeutung sondern besitzt mit „Sprache“
und „Transformation“ einen noch tiefere Schicht.
Mein Taiwan zu malen bedeutet, dass die durch farbige Tusche scheinenden Botschaften nicht nur die Erinnerungen an alte Zeiten sind, sie tun auch weite Räume des Nachdenkens auf, stellen der Nachwelt über Generationen hinweg, den Kindern und Enkeln und den Fremden einen Kommentar bereit. Einen Kommentar über Taiwans Schönheit und Zwielicht, Freude und Bitterkeit, Klagelieder und Freudengesänge, an den sich die Kinder und Enkel nachfolgender Generationen, alle, wenn sie sich auf ihren Wegen umblicken, erinnern können, um nicht die Gefühle vergangener Tage zu vergessen und damit aus und mit „Sprache“ in „Transformation“ hinein eine noch üppigere Zukunft voller Schönheit zu erringen.
Jiang Xianming
1942 in
Taizhong, Taiwan geboren. Absolvent des Kunstinstituts der Staatlichen
Pädagogischen Universität Taiwans, Magister der spanischen zentralen
Kunsthochschule. Professor am Forschungsinstitut für Ästhetik des
Kunstinstituts der staatlichen pädagogischen Universität Taiwans in
Doppelfunktion des Institutsleiters und Dekan. Über vierzig Einzelschauen
seiner Werke im In- und Ausland. Preisträger u.a. des chinesischen und
staatlichen Kunstpreises für Malerei. Jiang Xianming gehört zu den wenigen
taiwanischen Malern die in das internationale Kunstleben Eingang fanden.
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