Vor fast einem Jahr bin ich in Berlin-Tegel mit genau 91,83
kg Gepäck gelandet und noch immer ist dieser Berg an Mitgebrachtem nicht
vollständig verarbeitet.
Meinen lieben Lesern wird auffallen, dass die meisten der
hier aufgezählten Beobachtungen nun keine genuin neuen Phänomene sind, sondern enge Verflechtungen zu bereits gemachten Entdeckungen aufweisen. Wir
tauchen also schon in jene Tiefen hinab, wo uns die Kenntnis des Subtextes (sorry
Ethnos ;-) zusätzliches Verstehen und Vergnügen schenkt.
Willkommen und schön, dass ihr mich bei dieser Reise begleitet!
Fangen wir mit den Nebensachen an:
Besen, sie machen sie noch selber! Zwar gibt es natürlich an
allen Ecken billige PVC-Ware, die Profis jedoch verwenden diese.
Geschenke. Schockermoment „Wichteln mit Chinesen“: binnen
einer halben Minute haben sich alle 120 (!) Studierenden des Instituts aus dem
Weihnachtssack ihr Präsent gefischt. Beim Drängen und Schieben der
Warteschlange kommt es zu kurzen Grabbelkämpfen und die sackhaltenden
Weihnachtstrolle haben Mühe den Sack überhaupt zu behaupten, bis plötzlich die
chinesische Bravheit wieder die Oberhand gewinnt und alles pausbäckig an der
frisch erstandenen Habseligkeit glücklich fummelt…
Zocken (insbesondere Aktien). Macau hat ja Las Vegas wohl
schon lange als Spielerparadies abgelöst, die Suche nach dem schnellen Geld und
der Kick, gegen alle Wahrscheinlichkeiten, schicksalsgefügt doch der Abräumer zu
sein, scheint mir hier doch recht tief verwurzelt. Hier sieht man die Gattin
des Besitzers des von mir oft besuchten Kopierladens (bestehend aus einem
einzigen Schreibtisch in einem Immobilienhändlerbüro, bestückt mit zwei Rechnern
und einem Kopierer) wie sie zwischen den Arbeitsschritten die aktuellen Kurse
checkt.
WC-Belegungsanzeige, gleichfalls, dem japanischen Erbe (Klofetisch)
Rechnung tragend, aus Taipeh:
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OS mit UT ohne OT |
...soll heißen: Originalserie mit Untertiteln
ohne Originalton. Bis auf absolute live-Sendungen, ist im chinesischen
Fernsehen ja jede Sendung untertitelt, um allen Chinesen jeden Mutterdialekts
das Verständnis zu erleichtern. Als echte Serienfreaks konsumieren sie jede Serie,
ob aus China, Kora, Japan, USA, UK, Deutschland oder Sonstewo, die Popularität
genießt und an die sie kommen können. So kommt es, dass mir der Koch meines
zweitliebsten vegetarischen Buffets mir sein Schlaufon vor die Nase hält und
mich fragt: „Kennste die?“ Ich aber, eine amerikanische Serie sehend, deutsche
Synchornsprecher hörend, Untertitel in
chinesischen Langzeichen lesend, mich
erstmal orientierend, verneinen muss, meine Bewunderung für die kognitive
Leistung des Ausblendens allerdings ausdrücke.
Ladenbambule. Die Chinesen haben ja dieses schöne, im deutschen
Wortschatz völlig fehlende Adjektiv für trubelige, krachige Rummelatmosphäre:
rönau, wörtlich, unter Einbeziehung der Schriftzeichensymbolik: heißes Duell
aufm Markt. Chinesen beschreiben damit das wohlige Gefühl, das sie haben wenn, eben
auf dem Markt, in der Stadt, auf Feiern und auch in traditioneller Musik, die
Post richtig abgeht. Es ist ein Qualitätssiegel für eine Veranstaltung. Nur
wenn es zu arg wird d.h. die Schmerzgrenze westlicher Gemüter bereits weit
überschreiten ist, kann es auch abmildernd negative Bedeutung haben.
Nun eine wichtige Rolle im Erzeugen einer solchen Atmosphäre
sind die – wie ich sie nenne – Ladenzeremonienmeister:
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Bewaffnet mit Mikrofon,
Verstärker und Echohall „moderieren“ sie dem vorbeiziehenden Besucherstrom die
Ware an. |
Bei Arbeitskraftknappheit muss dann schlicht die Aufnahmefunktion
herhalten.
Immer wieder schön auch wie wunderbar verkramt die kleineren
Läden sind.
Nun zu den Klassikern!
Schicksalsglaube. Ob die Zahl im Roulette kommt, die Aktien
fallen oder steigen oder Liebesglück einkehrt, alles vorherbestimmt und durch Auspizien
ablesbar. Dabei kommt das traditionelle Analogiedenken der Chinesen zum Tragen
(z.B. sind Walnüsse gut für’s Hirn, weil sie aussehen wie ein Gehirn usw. usf.).
So wundert es kaum, dass der Hongkonger an der Liegegestalt des Kindes in der
Wiege seine Bestimmung abzulesen vermag:
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Eckenchef? Antikorruptionsbeauftragter? Kungfumeister?
Feinschmecker? Model? Sänger?
Umweltschützer? Buchhalter? Geschäftsführer?
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Heißwasserspender, ein wahrer Segen, des Importes wahrlich
würdig, sind überall verfügbar und wahrscheinlich der Sinnstifter von
Instantnudeln und der bereits besprochenen Teeschraubgläser.
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Im Bahnhof |
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An der Bushaltestelle |
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Im Flughafen |
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Im Institut mit Auffangsieb für Teeblätter, Kerne etc. |
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In der Schule |
Freiheit. Einerseits wissen wir um die vielfältigen
Einschränkungen, die die VR ihren Bürgern auferlegt, die diesem Bild einen
schaurigen Hauch verleiht...
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Flughafen Schanghai |
...andererseits haben die Chinesen im Alltag eine
Freiheit Regeln zu brechen und biegen bzw. von ihnen abweichen zu dürfen, die – nach meiner
Meinung - größer ist als bei uns. Ein schweizer Kollege meinte einmal ihn erinnere die heutige VR an "seine" Schweiz der 60er Jahre: noch nicht überreguliert, mit vielen kleinen Grauzonen.
In Ermangelung einer besseren Bezeichnung: das Stiftkarussell. Ein chinesischer Abiturient hat in seinem
Leben wohl mehr geschrieben als eine ganze deutsche Abiturklasse zusammen. Jahre
des Paukens, Sitzens hinterm Schreibtisch, Wechselns zur Neige gegangener
Feinlinerminen und Machens ödester Hausaufgaben erzeugen so einen bestimmten kleinen Flohzirkustrick, den jeder junge Mensch, dem zumindest ich hier begegnet bin,
ausnahmslos beherrscht. Freundlich zur Verfügung gestellt von Fräulein Gung:
klassisch
und avanciert
Unorthodoxe Improvisation
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Kabelhalter |
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Elektroinstallation im Sanitärbereich
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Ladenschirmlösung
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Schirmhaltersubstitut |
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Badmintonracket |
Plagiate. Überraschung, nicht nur Apple’s Produktpallette
ist wesentlich größer als gedacht…
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E-bikes |
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Geldzählmaschinen |
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Klospülungen |
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Das ist ein Fahrrad. |
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McTucky |
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Ponirelli |
Chinglish,
ganze Webseiten
sind dem Phänomen gewidmet und auch Promotionen werden zu diesem Thema
verfasst. Neben dem ungewollt Lustigen, finde ich ja die über das Ziel
hinausschießende Megalomanie in manchen Übertragungen besonders schön, sie
zeigt, wie wichtig den Chinesen, trotz Erziehung zur Bescheidenheit und Zurückhaltung,
das Schillernde, Großartige und Pompöse ist. Im folgenden Bild heißen die
Zeichen wörtlich:
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v.l.n.r.: groß, korrekt, Mensch, Schrift |
Alle vier gehören zu
den ältesten Zeichen, die das Chinesische überhaupt zu bieten hat und sind entsprechend
mit 4000 Jahren Schriftgeschichte und Bedeutung aufgeladen, so könnte es v.l.n.r. „Yoshihitos Humanismus“ heißen oder v.r.n.l. „redlicher Scholast“, die hier gezeigt Lösung allerdings scheint mir doch etwas weit hergeholt.
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Steht da auch auf Chinesisch! |
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gewohnt genderunsensibel natürlich in rosa |
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Eigentlich müsste es heißen, für Freunde des Kompositums:
Kleine Sunyatsenmausoleumsehenswürdigkeitenrundfahrtseisenbahn
Kleine Überleitung: bitte beachten Sie den Fahrer.
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Zum Schluss die speziell chinesische Superpower: schlafen
können, überall und instantan.
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ein ganz großer Klassiker |
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